Der erste Vers

Weg in den Sonnenaufgang

“Such nicht nach “der Antwort” in einem Buch.”

So fängt es an. Indem der geneigte Leser diesen Vers aufnimmt, geschieht ein ernsthafter Fehler. Doch welcher?

Besteht der Fehler darin, “in einem Buch” nachzuschlagen? – Falls ja, scheint es noch Hoffnung zu geben. Vielleicht kann man ja sinnvoll anderswo nach einer Antwort suchen. Wir kommen darauf zurück.

Oder ist der Fehler, nach “der Antwort” zu suchen?

Das müsste dann weiter seziert werden: Ist das Problem “die” Antwort? – also die Vorannahme, dass es “die eine Antwort” gäbe, und sobald man sich für die Möglichkeit mehrere Antworten öffnet wird alles gut?

Oder könnte das Problem in der Suche nach Antworten im Allgemeinen liegen?

Ein berühmter Science Fiction Roman (Douglas Adams “Per Anhalter durch die Galaxis”) behauptet dass “42” die Antwort auf die große Frage nach dem Leben, dem Universum und dem Rest sei – und dass unser Problem ist dass wir die Frage nicht ausreichend verstanden haben.

Tatsächlich denke ich, alle drei aufgezählten Möglichkeiten sind richtig. Der folgende Witz hilft, diesen Standpunkt zu verstehen:

An einem schönen, sonnigen Sommertag gehen Tünnes und Schäl an einem See entlang. Drei Schwäne schwimmen auf dem See, und als die beiden vorbeigehen, heben die drei Schwäne ab und fliegen davon.

Tünnes sagt: “Ich wäre so gerne ein Schwan. Dann könnte ich die Sonne genießen und den See und am Himmel fliegen.”

Schäl meint: “Ich wäre gerne zwei Schwäne! – Dann, als der erste Schwan, könnte ich die Sonne und so weiter genießen, und als der zweite Schwan könnte ich dem ersten zusehen und mich mitfreuen.”

Darauf meint Tünnes: “Du hast recht, ich wäre gerne alle drei Schwäne. Dann, als der erste Schwan, könnte ich die Sonne und alles andere genießen, als der zweite Schwan könnte ich mich mitfreuen und als der dritte Schwan könnte ich mich über die Mitfreude des zweiten mitfreuen.”

Was wir aus diesem Witz lernen können: Es gibt verschiedene Standpunkte, die wir zur Welt einnehmen können. Der erste Schwan ist “in” der Welt. Der zweite Schwan beobachtet die Welt, und der dritte reflektiert die Beobachtungen. Sozusagen:
Der erste Schwan ist: Du gehst in die Kneipe und trinkst ein Bier (oder irgendetwas anderes im Leben).
Der zweite Schwan ist: Du liest ein Buch (oder ein Gedicht) darüber, ein Bier zu trinken.
Der dritte Schwan ist: Du kommentierst das Buch (oder das Gedicht) über das Biertrinken.

Glück muß unmittelbar erlebt werden, darum ist nur für die Position des ersten Schwanes das echte Erleben von Glück zugänglich. Jeder der Glück sucht indem er ein Buch liest (die Position des zweiten Schwans) ist schon falsch abgebogen, und die Verwirrung wächst nur noch weiter wenn man denkt dass es universelle nützliche Antworten gibt.

Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass es es spezifische Antworten gibt die in spezifischen Situationen nützlich sind, aber nicht in anderen.

Wenn man den Raum möglicher unterstützender Gedanken weiter einschränkt auf eine einzige Antwort wird die Enttäuschung nur noch größer.

Als ich mein Physikstudium begann, begann die erste Vorlesung in etwa mit den folgenden Worten:
“Um Enttäuschungen vorzubeugen: Die Physik erklärt die Welt nicht, sie beschreibt sie nur. Und die meisten dieser Beschreibungen sind ziemlich oberflächlich.” (Prof. Franz von Feilitzsch)

Es gibt nicht “die eine große Theorie”, und in der Physik ist das auch jedem klar Es gibt die Allgemeine Relativitätstheorie, und die funtioniert ziemlich gut in ihrem Zusammenhang: Um Galaxien und ihre Beziehungen zueinander zu beschreiben. Dann gibt es die klassische Mechanik, und die funktioniert ziemlich gut für den Alltag: Billiardkugeln sind ein häufiges Beispiel, oder Autos, oder Äpfel, die von Bäumen fallen. Und dann ist da die Quantenmechanik, die ziemlich gut funktioniert um Atome, Elektronen, Protonen, Neutronen und so etwas zu beschreiben. Und es gibt viele, viele weitere Theorien die die Welt beschreiben, in der wir leben. Die meisten davon sind für irgendetwas nützlich. Um Mondraketen zu bauen oder Taschenrechner oder Autos oder Mikrowellenherde. Aber keine davon beschreibt alles, ganz davon zu schweigen, alles zu erklären.

So ist das Leben. Was Du selbst erlebst ist so nah an der Wahrheit wie Du eben herankommst (erster Schwan), und was Du darüber liest oder denkst oder fühlst (zweiter und dritter Schwan) kann nützlich sein oder auch nicht.

Und damit kommen wir zum zweiten Vers.

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